Digitale-Dienste-GesetzViele Wege führen zu einer Beschwerde

Bei der Plattform, beim Digitale-Dienste-Koordinator oder gleich vor Gericht beschweren? Wer sich gegen Entscheidungen einer Online-Plattform wehren will, hat viele Möglichkeiten. Durch das Digitale-Dienste-Gesetz der EU kam ein weiterer dazu: die außergerichtliche Streitbeilegung. Doch was ist das überhaupt?

Eine rote Spielfigur zwischen zwei Gruppen an jeweils blauen und grünen Spielfiguren. Darüber eine Sprechblase mit Ausrufezeichen.
Streitbeilegungsstellen sollen zwischen Nutzer:innen und Plattformen vermitteln. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Wer sich darüber beschweren will, dass sein Instagram-Post gelöscht wurde, hat viele Optionen. Durch den Digital Services Act (DSA) der EU sind es noch mehr geworden. Neben dem Digitale-Dienste-Koordinator als Beschwerdestelle, der in Deutschland bei der Bundesnetzagentur angesiedelt ist, hat der DSA unter anderem das Konzept der außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen eingeführt.

Seit dem 12. August ist die erste dieser Stellen in Deutschland zertifiziert. Wer nun Probleme damit hat, dass einer seiner Inhalte bei Instagram, LinkedIn oder TikTok gelöscht wurde oder ein gemeldeter Inhalt stehen blieb, kann sich an die User Rights GmbH aus Berlin wenden.

Doch neben den Streitbeilegungsstellen gibt es noch viele andere Wege, sich gegen Entscheidungen und Gebaren von Online-Plattformen zu wehren. Etwa bei der Plattform selbst, auf dem klassischen Rechtsweg bis hin zum Gericht, bei dem Digitale-Dienste-Koordinator direkt oder bei Organisationen wie den Verbraucherzentralen und dem Center for User Rights der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Aber wie sollen Nutzer:innen in diesem Beschwerdewege-Dschungel noch durchsehen?

Streitbeilegung im Beschwerde-Dschungel

An wen wenden sie sich mit welchem Problem auf welcher Plattform? Wer ist zuständig und kann ihnen helfen? Und was genau ist die Rolle der neuen Streitbelegungsstelle in diesem Gefüge? All das ist noch nicht ganz geklärt.

Niklas Eder von User Rights sagt dazu im Interview mit netzpolitik.org: „Unser Ziel ist es, mit der Streitbeilegungsstelle andere Mechanismen sinnvoll zu ergänzen. Im Wesentlichen prüfen wir, ob Geschäftsbedingungen oder Rechtsnormen richtig angewendet wurden, ohne dass die Nutzer:innen dafür vor Gericht gehen müssen.“ Also irgendwo zwischen einer Beschwerde bei der Plattform selbst und einem Gericht. Im Gegensatz zu letzteren sind die Entscheidungen der Schlichter jedoch nicht bindend.

Der Jurist Eder hat die Streitbeilegungsstelle mitgegründet und vorher im Oversight Board von Meta viele Einblicke in die praktische Seite der Inhaltemoderation von Plattformen erhalten. Als dann der DSA in der EU kam, faszinierte ihn das im europäischen Recht eher ungewöhnliche Konzept der Streitbeilegung.

Jura und Digitales verbinden

Genauso ging es seinem Mitgründer Raphael Kneer, ebenfalls Jurist. Als er im DSA gelesen hat, war er begeistert, berichtet er: „Der DSA erfüllt alle Attribute, die mir wichtig sind: Er ist sozial, politisch und gesellschaftlich extrem relevant und hat eine große Auswirkung auf unsere Demokratie und unser Miteinander in Europa.“

Dass die Streitbeilegungsstellen aus dem DSA komplett digital geführt werden sollen, begeisterte ihn zusätzlich. Er hatte schon vorher Erfahrungen an den Schnittstellen von Jura und Technik gesammelt, beispielsweise zu Betriebsratsarbeit, gemeinsam mit dem emeritierten Jura-Professor Stephan Breidenbach. Damit war das Dreier-Gründungsteam von User Rights klar. Von Idee bis zur Zertifizierung hat es dennoch rund ein Jahr gedauert, auch weil viele Schritte im Zertifizierungsprozess noch gar nicht etabliert waren.

Zum Start von User Rights können sich Nutzer:innen nun über ein Formular an das Team wenden, wenn sie ein Problem bei Instagram, TikTok oder LinkedIn haben. Weitere Plattformen sollen künftig dazukommen, sagt Kneer. Doch erstmal wollen sich die Streitschlichter auf Unzufriedenheit bei Moderationsentscheidungen dieser drei konzentrieren, vor allem bei Fragen zulässiger oder unzulässiger Meinungsäußerungen.

„Eine undankbare Situation“

„Was wir noch nicht machen, sind beispielsweise Jugendschutzthemen oder Urheberrechtsfragen“, sagt Kneer. Man müsse sich gerade am Anfang überlegen, worauf man seine Expertise fokussiere, sagt er. Für Nutzer:innen kann das frustrierend sein, denn Plattformentscheidungen wie Accountsperren sind teils sehr große Einschnitte für die Betroffenen. Wenn sie dann minutenlang das Formular auf der Website ausfüllen und dann die Nachricht bekommen, dass User Rights ihnen nicht helfen kann, ist die Enttäuschung mitunter groß.

„Wir sind momentan in einer undankbaren Position, weil wir die einzige Streitbeilegungsstelle in Deutschland sind“, sagt er. Vielleicht entstehe so die Erwartung, dass sich User Rights um „alles mit Social Media“ kümmere. „Aber das kann nicht klappen“, so Kneer. Er hofft, dass es bald weitere Streitbeilegungsstellen gibt, die unterschiedliche Schwerpunkte mitbringen. Bis dahin arbeitet das Team auch daran, Nutzer:innen zu erklären, wer ihnen bei ihren Anliegen helfen könnte.

Doch nicht nur in Deutschland ist User Rights momentan noch allein. In der EU gibt es derzeit nur eine weitere Streitbeilegungsstelle nach dem DSA, auf Malta. „Wir betreten in jeder Hinsicht Neuland“, sagt Eder. Das wirkt sich nicht nur auf die Erwartungen der hilfesuchenden Nutzer:innen aus, sondern auch auf die Plattformen selbst. Denn die hätten noch keine Prozesse, wie sie mit den Streitbeilegungsstellen kommunizieren.

Hoffnung und Vertrauen

„Die Plattformen waren zögerlich, vor der Zertifizierung in konkrete Gespräche einzusteigen“, berichtet Kneer. Er sieht es auch als Herausforderung, mit den Anbietern zusammen Strukturen aufzubauen: „Wir arbeiten auf eine gängige Praxis hin, wie mit Streitbeilegungsstellen umgegangen wird.“ Auch das ist ein Grund für die Auswahl der ersten drei unterstützen Plattformen – sie stammen von unterschiedlichen Betreibern. Man will nicht nur etwa mit Meta Kommunikationswege etablieren, sondern Pfade mit unterschiedlichen Unternehmen beschreiten.

Bei dieser Praxis geht es auch um Fragen, wie Informationen sicher ausgetauscht werden können und wie die Plattformen auf die Einschätzungen der Schlichter reagieren. Bisher, so der Eindruck von Kneer, würden die Schlichtungsstellen von den Anbietern ernst genommen.

Auch Eder geht davon aus, dass Plattformen die Entscheidungen der Streitschlichter meist umsetzen werden. „Wir prüfen gründlicher und unabhängiger als Plattformen selbst und liefern ausführlichere Begründungen für unsere Entscheidungen. Außerdem gehen wir genau auf die vorgebrachten Punkte der Beschwerdeführer ein.“ Ziel sei es, eine rechtlich zutreffende Prüfung zu machen, „auf die Plattform und Nutzer vertrauen können“.

Vertrauen braucht es auch in diesem Prozess, denn die Entscheidungen der Schlichter sind nicht bindend für die Unternehmen. Dafür müssen diese für die Kosten der Schlichtung aufkommen, wenn die Streitbeilegungsstelle im Sinne der Nutzer:innen entscheidet. Für ein „einfaches Verfahren“ werden nach der Kostenordnung von User Rights dabei rund 200 Euro fällig, für ein „kompliziertes Verfahren“ 700 Euro. Die Betroffenen selbst müssen nichts zahlen, es sei denn, sie nutzen das Angebot böswillig aus.

„Wir haben keine Ahnung, was passiert“

Wie viele Leute werden sich mit Hilfe einer Streitbeilegungsstelle beschweren und wie solide kann die sich durch die Plattform-Gebühren finanzieren? Das vorauszusehen ist schwer. „Wir haben keine Ahnung, was passiert“, sagt Kneer. Man sei mit einem knappen Dutzend Beschäftigter gestartet und es gebe schon viele Erstverfahren. Doch zunächst einmal müssen die Nutzer:innen von dieser Beschwerdemöglichkeit erfahren.

Die meisten der bisherigen Meldungen seien wohl auf die Pressemitteilung des Digitale-Dienste-Koordinators zur Zertifizierung der Streitbeilegungsstelle zurückzuführen, vermutet Kneer. Davon abgesehen habe User Rights auch noch gar nicht versucht, sich bekannt zu machen. Das werde man auch beibehalten, bis man das Beschwerdeaufkommen einschätzen kann.

Doch wie finden die Betroffenen dann die Streitbeilegungsstellen, wenn sie sie brauchen? Online-Plattformen müssen ihre Nutzer:innen auf diese Möglichkeit der Schlichtung hinweisen, schreibt der DSA vor. Auf die konkreten Ansprechpartner:innen selbst müssen sie aber nicht verweisen. Vermutlich wird es dazu bald auf der Website der Europäischen Kommission eine Liste von Streitbeilegungsstellen geben. Dann könnte viel Arbeit auf das junge Berliner Unternehmen zukommen, denn wenn es um Verstöße gegen Allgemeine Geschäftsbedingungen geht, dürfen sie EU-weit Fälle bearbeiten.

Viele Millionen Plattform-Entscheidungen am Tag

Laut der DSA-Transparenzdatenbank übermitteln Online-Plattformen täglich mehrere Millionen Entscheidungen an das Tool der EU-Kommission zur Entfernung von Inhalten oder Accounts oder zur Einschränkung der Sichtbarkeit von Postings, Produkten oder anderem. Von TikTok allein waren es bisher rund 183 Millionen Meldungen. Wenn sich auch nur wenige Promille der betroffenen Nutzer:innen beschweren wollen, wird es schnell eng für die Schlichtungsanbieter.

Wenn das Konzept also eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Beschwerdewegen sein soll, das Wirkung entfaltet, muss es mehr als ein, zwei Stellen mit begrenzten Kapazitäten geben. Doch wie schafft man es, dass die Streitbeilegungsstellen aufeinander abgestimmt arbeiten? Die Entscheidungen der Schlichter sind nicht öffentlich, ihre Arbeit erfolgt zum großen Teil im Verborgenen. Das kann Probleme privatisierter Rechtsdurchsetzung mit sich bringen.

User Rights will darüber eine Diskussion starten und hat deshalb ein Advisory Board gegründet, dem derzeit vier Wissenschaftler:innen angehören. „Wir wollen die Debatte um außergerichtliche Streitbeilegung voranbringen“, sagt Eder. „Denn unser Ziel ist nicht, dass wir die einzige große Streitbeilegungsstelle sind. Wir schaffen jetzt Strukturen und entwickeln Lösungen, von denen auch andere Stellen profitieren können.“

Das Advisory Board soll sich daher künftig mit Grundsatzfragen der Streitbeilegung beschäftigen. Eines der Ergebnisse des ersten Berichts: Weil noch vieles unklar ist, müssen Streitbeilegungsstellen erst herausfinden, wie sie sich zu anderen Mechanismen im DSA und zu anderen Gesetzen verhalten. Sie sollten „zu Beginn ihrer Tätigkeit nicht übermäßig ambitioniert sein und darauf hinarbeiten, ihre Arbeit im Laufe der Zeit zu verbessern“. Dafür schlägt der Bericht drei Schritte vor: transparent sein, Daten austauschen und zu einer Kartierung der entstehenden Landschaft der Streitbeilegung beitragen.

1 Ergänzungen

  1. > Die Betroffenen selbst müssen nichts zahlen, es sei denn, sie nutzen das Angebot böswillig aus.

    Was bitte ist böswilliges Ausnützen?
    Wer bestimmt darüber, was im Einzelfall böswillig ist?
    Welche Kriterien werden bei der Beurteilung angesetzt?

    Wenn Plattformen beim Überschreiten gesetzter Regulierungen übereifrig sind, ist das dann zufällig, beabsichtigt oder böswillig?

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